Im Markusevangelium Kapitel 9, Verse 14-29 ist von einem Vater in höchst verzweifelter Lage zu lesen. Sein Sohn leidet schrecklich – und das schon seit vielen Jahren. Es kommt zu einer Begegnung mit Jesus. (Link zu bibleserver.com, wo die Geschichte nachgelesen werden kann)
In diesem Abschnitt gibt es einige Aspekte, die man näher betrachten kann. Ich möchte mich hier auf die Verse 22-24 beschränken. Ein Teil von Vers 24 ist Teil der sogenannten Jahreslosung für 2020 (Eine Art Leitspruch, der von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen ausgewählt wurde).
Ich glaube, hilf meinem Unglauben!
Der Bibeltext schildert eine hoch dramatische und emotional aufgeladene Szene. Der Vater ist der Verzweiflung nahe. Er bangt um seinen Sohn. Der Vater hat die Hilflosigkeit der Jesusschüler (Jünger) erlebt. Für ihn ist es noch nicht klar, ob Jesus wirklich mehr drauf hat, als seine Jünger. In seiner Verzweiflung bittet er Jesus: Wenn du etwas kannst, so erbarme dich über uns und hilf uns!
Er scheint sich nicht sicher zu sein, ob Jesus ihm wirklich helfen kann. Seine ganze Welt ist aus den Fugen geraten. Es scheint keine Sicherheiten zu geben. Auf was kann er Vertrauen? Auf wen wirklich setzen? Und doch tut er das Richtige: Er wendet sich an Jesus. Er hätte nach der Enttäuschung mit den Jüngern wütend oder traurig nach Hause gehen können. Er hätte seinen Sohn mitgenommen und allen erzählen können, wie unfähig die Jesusschüler sind.
Es gibt so viele Menschen, die wenden sich von Kirche, Gemeinde und Glauben ab, weil sie schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben. Enttäuscht, verletzt, frustriert. Niemand sollte seinen Glauben davon abhängig machen, ob ich von Menschen genug beachtet werde. Niemand sollte seinen Glauben davon abhängig machen, ob Menschen mich verletzt haben. Niemand sollte seinen Glauben davon abhängig machen, ob Menschen mich enttäuscht haben.
Ich möchte nichts davon beschönigen. Es gibt einen Spruch, der heißt: Christen können enttäuschen – Christus nie.
Wir können uns an dem verzweifelten Vater ein Beispiel nehmen. Er läuft nicht weg, sondern er wendet sich an Jesus: Erbarme dich und hilf uns. Es gibt Situationen, in denen besonders bewusst wird, wie sehr wir auf Gottes Erbarmen angewiesen sind. Wir brauchen Gottes Erbarmen – Herr, erbarme dich!
Jesus gibt manchmal eigenartige Antworten. Du sagst, wenn du kannst – Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.
Geht es wirklich um unseren starken Glauben, der etwas bewegen kann? Meiner Meinung nach meint Jesus folgendes: Zu aller erst kommt es nicht auf das Können an. Das hatte die Jünger im Abschnitt irritiert. Sie hatten früher schon erlebt, wie Heilung „funktioniert“. Sie glaubten, Heilung kann man machen. So wie bei einen Zaubertrick. Man macht bestimmte Handlungen und es funktioniert.
Aber Jesus sagt: Es geht nicht so sehr um das Können. Sondern um den Glauben. Und vor allem und zuerst um seinen Glauben – Jesus glaubte daran, das der Vater ihm Macht gegeben hatte, zu heilen. In meinem Verständnis will Jesus auf seine Vollmacht hinweisen. Es geht nicht um einen mehr oder weniger starken Glauben an unseren Glauben! Sondern es geht darum, es Jesus zuzutrauen – an seine Vollmacht zu glauben.
Darum kann Paulus im Philipperbrief Kapitel 4, Vers 13 schreiben: Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.
Ich kann, weil er kann. Weil Jesus alle Macht hat, will ich vertrauen und glauben, dass er mir die Kraft schenkt, die ich brauche.
Der verzweifelte Vater spürt angesichts der Worte von Jesus die eigene innere Zerrissenheit. Er schreit es förmlich heraus: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! Noch besser könnte man lesen: Ich versuche zu glauben, hilf meinem Unglauben!
Der Mann hört die Worte von Jesus, dass alles Möglich ist, dem der glaubt. Vor allem ist Jesus alles möglich. Dieser Mann ist darin konfrontiert mit seinem eigenen Glauben. Er merkt, wie rissig und spröde dieser Glaube ist. Er spürt alle Enttäuschungen und Zweifel. Er will ja vertrauen, er will Jesus glauben, er will es ihm zutrauen. Aber da ist so viel Unsicherheit und so viel Frust. Dennoch wirft er Jesus dieses bisschen Glauben hin – diesen bisschen, was vielleicht gar nicht die Bezeichnung Glauben verdient. Er schreit es heraus.
Dieser ver-zweifel-te Mann ist ein un-glaub-lich gutes Beispiel dafür, wie wir zu Jesus kommen können. Seine Zweifel lassen in verzweifeln. Von seinen Glauben ist nur als Unglaube zu sprechen. Aber er stellt sich Jesus in den Weg und schreit es heraus.
Wir dürfen, ja wir müssen den Mut haben, zu unserem Mangel an Glauben zu stehen – zu unseren Zweifel – zu unseren Frage – zu unseren Enttäuschungen.
Viele haben nicht den Mut dazu, weil sie glauben, dass ihnen damit der Glaube abhanden kommt. Leider ist das ein gefährlicher Trugschluss. Denn wenn wir die Zweifel und Fragen immer verdrängen, dann werden sie mächtiger. Und so werden sie uns eines Tages überfallen.
Zweifel und Fragen sind völlig normal. Wer sich mit dem eigenen Glauben beschäftigt, der wird zwangsläufig mit Fragen konfrontiert.
Mein Eindruck ist, dass viele ihren Glauben verwerfen oder sich stark abgrenzen, weil sie Zweifel zu spät zugelassen haben. Denn wir meinen, dass unsere Zweifel und Fragen unseren Glauben zerstören. Wir glauben oft, dass Anfragen an unseren Glauben gefährlich sind. Wir meinen dann, unser Glaube hält dem nicht stand und lassen Zweifel deshalb nicht zu.
Neulich las ich mal einen Satz (leider weiß ich nicht mehr wo), der sinngemäß so lautet: Ich möchte nicht an einen Gott glauben, der meine Zweifel nicht aushält.
Ich finde, das ist genau der Punkt. Denn wenn wir unsere Zweifel unterdrücken, dann ist irgendwo das Gefühl da: Die Zweifel könnten Recht haben und alles kaputt machen, was ich glaube. Und ich traue es Gott darin nicht zu, größer zu sein als meine Zweifel. Aber damit mache ich die Zweifel erst recht noch größer.
Meine Zweifel sind für Gott kein Problem! Sondern sie sind ein Problem für mich!
Für mich steht fest: Zweifel müssen ausgesprochen werden. Fragen müssen gestellt werden. Frust, Verletzungen und Enttäuschungen müssen benannt werden. Vielleicht auch manchmal anderen Menschen gegenüber. Aber immer! Gott gegenüber.
Wenn du diese Dinge Gott nicht hinhältst, werden sie dich irgendwann knechten! Du wirst in deiner Enttäuschung und Verzweiflung bleiben.
Der Vater im Markusevangelium schreit seine Verzweiflung Jesus entgegen. Jesus ist die richtige Adresse. Der Mann tut das Richtige. Er bittet Jesus um Erbarmen. Er nennt ihm seine Sorgen und schreit die Verzweiflung heraus – auch seine Unfähigkeit zu glauben. Es steckt so viel Not und Enttäuschung in seinen Worten. Aber es kommt damit zu Jesus.
Manche Dinge müssen einfach mal raus. Sie sind für Jesus kein Problem. Jesus hält das aus. Für Jesus ist nichts ein Problem. Egal, was dich beschäftigt. Es haut Jesus nicht um.
Die Jahreslosung in ihrem Zusammenhang ist eine Einladung, Jesus alles hin zu halten – unseren Glauben und unsere Verzweiflung. Wir sind herausgefordert, auf Jesus zu vertrauen – auch in den unglaublichen Situationen.