Erntedank 2022

Ich sitze auf meinem Platz. Der Gottesdienst beginnt. Es ist Erntedank-Sonntag.
Als ich den Altartisch anschaue, sehe ich dort das Abendmahlsgeschirr vorbereitet stehen. Was wir dort nicht haben, sind die verschiedenen Sorten Obst und Gemüse. Keine Kürbisse, keine Äpfel, keine Zucchini, auch keine Kartoffeln oder Mais. Dort stehen einfach nur Brot und Traubensaft neben einem schönen Blumenstrauß und der Bibel.

Ich frage mich, ob da etwas fehlt. Auch in meiner Predigt streife ich das Thema Ernte und Landwirtschaft nur sanft. Mein Schwerpunkt liegt mehr beim Dank für die Wiedervereinigung und dabei, dass wir uns auf weniger Wohlstand einstellen müssen. Ich lande bei Paulus, der im Brief an die Philipper in Kapitel 4, Verse 12-13 davon schreibt, dass er Mangel und Überfluss kennt. Aber auch, dass er alles Jesus Christus verdankt, der ihm in allem Kraft gibt.

Dann denke ich an die vielen Bilder von Erntedank-Tischen, die ich heute bereits im Netz gesehen habe und die ich noch im Laufe des Tages sehen werde, wenn ich durch die sozialen Medien scrolle.

Fehlt mir die Dankbarkeit für die guten Gaben? Für das Essen und Trinken?
Kann man an einem Erntedank-Sonntag wenig über die Ernte reden?
Vergeistliche ich die Thematik mit der Feier des Abendmahls?
Lebe ich nicht mehr in der Realität einer Welt von Saat und Ernte?

Einen Sonntag zuvor haben wir mit anderen Gemeinden zusammen Erntedank auf einem Bauernhof gefeiert. Dort lagen verschiedene Gaben auf dem Tisch. Mir fiel die Kiste mit den Kartoffeln auf. Ich hätte erwartet, dass darin die größten Kartoffeln liegen. Statt dessen waren viele kleine Kartoffeln darin. Diese Größe, die man nicht so gerne schält, weil es ewig dauert bis man fertig ist.

Ich dachte über meine Erwartung nach. Warum nur für die großen Sachen dankbar sein? Übersehe ich die kleinen? Die Predigt meines Kollegen hat mich dann sehr angesprochen. In der folgenden Woche nahm ich jeden Tag ein paar Kaffeebohnen in meiner Hosentasche mit. Wenn ich etwas erlebte, wofür ich dankbar war, ließ ich eine Bohne von der rechten in die linke Tasche wandern.

Es gibt so vieles, wofür man dankbar sein kann. Manchmal sind es herausragende Ereignisse oder Gaben. Oft sind es aber die kleinen Dinge. Es ist dabei gar nicht notwendig, Essen und Trinken gegen Brot und Traubensaft auszuspielen. Eines ist der leibliche Segen. Das andere ist der geistliche Segen.

Gott sei dank!

Ist das Gott oder kann das weg? – Eine Art Rezension

Vor ungefähr zehn Jahren habe ich den Autoren dieses Buches bei einem Musik-Kabarett-Auftritt kennen gelernt. Die Gemeinde, in der ich damals gearbeitet habe, hatte Jakob Friedrichs (Jay) zusammen mit Volker Schmidt-Bäumler (Schmittie) alias „superzwei“ eingeladen. Dreister Weise habe ich die Anmoderation ihres Konzertes dazu genutzt, selbst zwei Witze zu erzählen. Ein wenig waren sogar die beiden hessischen Blödelbarden davon irritiert. Und was soll ich sagen? Es hat mir Spaß gemacht. Ich mag den Humor und die Art, wie „superzwei“ ihr Programm präsentieren.

Nun hat Jakob Friedrichs ein Buch vorgelegt, das in meiner social-media-bubble immer wieder empfohlen wurde. Der Preis und die überschaubare Seitenzahl haben mich das Buch bestellen lassen.

Inhaltlich beschäftigt sich der Autor, der sich manchmal als „christlichen Agnostiker“ bezeichnet, mit den Störfaktoren des christlichen Glaubens. Er zeigt, dass wir vielem gewissermaßen die Spitze abgebrochen haben, indem wir gerade die Ecken und Kanten der biblischen Berichte glatt bügeln. Friedrichs ist es ein Anliegen, zu hinterfragen und zum Kern von Karfreitag vorzudringen.

Dabei finde ich allerdings den Anlauf, den er dazu nimmt, wenig gelungen. Nach den ersten drei Kapiteln war ich versucht, das Buch zur Seite zu legen und dort auch liegen zu lassen. Für meinen Geschmack hat Jay sich darin zu sehr mit den Dingen beschäftigt, die weg können – wie zum Beispiel seine Spekulationen über die mehr als 90 Prozent, die wir von Jesus nicht wissen.

Ich bin aber froh, dass ich das Buch dann doch wieder zur Hand genommen habe. Denn die weiteren Kapitel finde ich wirklich gut, die Kapitel „Ist das Gott oder kann das weg“ und „Gott ist tot“ sind sogar grandios geworden. Darin zeigt Jay zum einen die Bedeutung von Abendmahl und Kreuz und zum anderen vom Karsamstag. Mir gefällt besonders, dass er deutlich macht, wie sehr Gott sich in die Schwachheit hinein begibt und dass er eben nicht als ruhmreicher Sieger vom Platz geht, sondern tot im Grab liegt.

Jakob Friedrichs betont das Scheitern und dass auch unser Leben Scheitern kennt. Er zeigt, dass wir in der Gefahr stehen, lieber an einen Gott glauben wollen, der hoch zu Ross in Ruhm und Pracht unterwegs ist und natürlich auch gerne selbst so unterwegs sein und uns damit auf Instagram präsentieren wollen.

Auch dass Jesus wirklich tot war, ist dem Autoren wichtig. Denn nicht alles hat ein happy end. Das Leben ist nicht nur ständiges Glück.

Jay gelingt es dann doch, das Anstößige und Unsinnige des christlichen Glaubens hervor zu holen und genau darin das Besondere zu finden. Gott ist eben ein „Anders-Gott“. Auch wenn Jakob Friedrichs es eigentlich gar nicht so sehr beabsichtigt (so zumindest mein Eindruck – er will es, aber irgendwie auch nicht und entschließt sich doch dazu), lässt er hinter Karfreitag und Karsamstag Hoffnung aufleuchten.

Ich spüre es seinen Zeilen ab, dass dieser Gott, der sich in die Tiefe hinein gibt, den Autoren fasziniert. Für ihn ist es das, was ihn an seinem Glauben festhalten lässt. Das Buch ist ehrlich und ab Seite 39 wirklich empfehlenswert.

Hier noch ein paar Zitate aus dem Buch:

Ich glaube nicht an Christus, weil er mächtiger ist als alle anderen Götter, sondern weil er freiwillig den Kürzeren zieht. Das gibt es nicht noch einmal. (Seite 46)

Hier geht es nicht darum, wie vernünftig oder unvernünftig der christliche Glaube ist, es geht um die Frage, ob wir Cäsar folgen wollen oder Jesus? (Seite 49)

Auch deshalb fasziniert mich der gekreuzigte Gott. Weil hier alles auf den Kopf gestellt wird. Weil dieser Gott aus dem ganzen Zirkus aussteigt und sich hinrichten lässt. Aussteigt aus der Rechthaberei, der moralischen Überlegenheit und Ausgrenzung anderer und aussteigt aus der Jagd nach dem Glück. (Seite 59)

Das Leben kann so furchtbar und verstörend sein. Und das Christentum lächelt das gerade nicht weg, sondern versucht auch den Karsamstag auszuhalten: Das Absurde, Unverständliche hat im christlichen Gott Platz. (Seite 64-65)

Der merkwürdige Gott ist so merkwürdig, dass nicht mal der Tod etwas mit ihm anfangen konnte. Jesus lebt. Und ist erfahrbar. Das glauben Christen. Zumindest versuchen wir es. (Seite 81)